... is poetry."
- June Jordan
- June Jordan
Am 23. Februar hat das St. Galler Tagblatt meinen 21. offenen Brief veröffentlicht. Dieser ging an Nationalrätin Susanne Vinzenz-Stauffacher, Ombudsfrau der Schlichtungsstelle für Alter und Behinderung, die kein Problem damit hat, dass ausgerechnet diese Stelle nicht barrierefrei ist.
Podcast
23. February 2023
Christoph Keller: «Wir sind alle normal.»
Der Autor Christoph Keller im Gespräch mit Stefan Ribler
Christoph Keller ist erfolgreicher Autor und sitzt im Rollstuhl. Aufrund von Spinaler Muskelatrophie verliert er fortschreitend an Muskelkraft. Mit Stefan Ribler spricht er über Superhelden, radikale Normalisierung und Utopien. Er legt dar, wie Menschen mit Behinderung noch heute an der Teilhabe in der Gesellschaft ausgeschlossen werden und fordert eine stärkere Repräsentanz in allen Lebensbereichen.
23. February 2023
Christoph Keller: «Wir sind alle normal.»
Der Autor Christoph Keller im Gespräch mit Stefan Ribler
Christoph Keller ist erfolgreicher Autor und sitzt im Rollstuhl. Aufrund von Spinaler Muskelatrophie verliert er fortschreitend an Muskelkraft. Mit Stefan Ribler spricht er über Superhelden, radikale Normalisierung und Utopien. Er legt dar, wie Menschen mit Behinderung noch heute an der Teilhabe in der Gesellschaft ausgeschlossen werden und fordert eine stärkere Repräsentanz in allen Lebensbereichen.

Am Donnerstag, dem 15. September 19:00 feiert das Literaturhaus St. Gallen ein ganz besonderes Fest. Und der, um den es geht, wünscht sich, dass alle seiner Zunft mit von der Partie sind, denn das, um was es geht, ist ihm eine Herzensangelegenheit.
Wir feiern das Erscheinen eines wichtigen Buches im englischen Orginal: Endlich kann Kellers «Jeder Krüppel ein Superheld» auch als internationale Ausgabe dazu beitragen, uns die Augen zu öffnen für vieles, das wir zumeist übersehen.
Darüber unterhält sich Christoph Keller mit Dorothee Elmiger, Michael Fehr, Meral Kureyshi und Peter Weber. Und mit Euch – denn Ihr seid eingeladen mitzudiskutieren, mitzulachen, zu essen, zu trinken und: Zu feiern.
Übrigens: Mitglieder des A*dS geniessen freien Eintritt, allen anderen gewähren wir eine Ermässigung. Über eine kurze Nachricht, wer kommt und mit wem und wie vielen sind wir dankbar: literaturhaus@wyborada.ch
Wir feiern das Erscheinen eines wichtigen Buches im englischen Orginal: Endlich kann Kellers «Jeder Krüppel ein Superheld» auch als internationale Ausgabe dazu beitragen, uns die Augen zu öffnen für vieles, das wir zumeist übersehen.
Darüber unterhält sich Christoph Keller mit Dorothee Elmiger, Michael Fehr, Meral Kureyshi und Peter Weber. Und mit Euch – denn Ihr seid eingeladen mitzudiskutieren, mitzulachen, zu essen, zu trinken und: Zu feiern.
Übrigens: Mitglieder des A*dS geniessen freien Eintritt, allen anderen gewähren wir eine Ermässigung. Über eine kurze Nachricht, wer kommt und mit wem und wie vielen sind wir dankbar: literaturhaus@wyborada.ch
Vom Lesenschreiben der WeltSchriftsteller sein heisst, mit anderen Stimmen zu reden. Zuerst aber heisst es zu lernen, mit der eigenen Stimme zu sprechen. Sonst geschieht, wovor das afrikanische Sprichwort warnt: Solange die Löwen nicht schreiben lernen, wird jede Geschichte die Jäger verherrlichen.
Christoph Keller nimmt seine drei Poetikvorlesungen an der Universität St. Gallen vom Herbst 2020 zum Anlass, sein eigenes umfangreiches, vielstimmiges Werk neu zu besichtigen. Dabei geht es um schelmisches Erzählen, um das Sprechen mit anderen Stimmen, darum, wer für einen spricht, wenn man es nicht selbst tut. Und darum, was das Lesen von Büchern für das Lesen der Welt bedeutet und wie das Lesen der der Welt zum Schreiben von Büchern wird. Wie eine vierte Vorlesung fügt sich stimmig die Dankesrede für den Alemannischen Literaturpreis an, der Keller im Juli 2021 verliehen werden wird. |
Hier mehr Info zur Gaskessellesung am 29.8.
"Mit Licht schreiben"
Die Bilder zu den Büchern: Fotos 2008 - 2021
4. bis 18 Juli 2021, Stadtscheuer Waldshut, Waldtorstr. 3, 79761 Waldshut
Die Bilder zu den Büchern: Fotos 2008 - 2021
4. bis 18 Juli 2021, Stadtscheuer Waldshut, Waldtorstr. 3, 79761 Waldshut
Mi. 2.6.2021 — 19:30 Uhr — DenkBar, Gallusstrasse 11, St. Gallen
Ostschweizer Literaturgespräch #5: Dorothee Elmiger und Christoph Keller
Christoph Keller meets Dorothee Elmiger: In der fünften Ausgabe der beliebten Ostschweizer Literaturgespräche lädt der bekannte St. Galler Autor (und aktueller Träger des Alemannischen Literaturpreises) Dorothee Elmiger ein – die in Appezöll aufs Gymnasium ging und heute in Zürich lebt und arbeitet. Sie erhielt zahlreiche Literaturpreise, zuletzt war sie mit ihrem Roman «Aus der Zuckerfabrik» auf den Shortlist für den Schweizer und für den Deutschen Buchpreis 2020.
Dienstag, 18.Mai 2021, 22.25 Uhr, SRF1
Nicola Steiner, Usama Al Shahmani, Daniela Strigl und – als Gast – der Schriftsteller Christoph Keller diskutieren über «Eurotrash» von Christian Kracht, «Sister Outsider» von Audre Lorde, «Das Jahresbankett der Totengräber» von Mathias Enard sowie «Morituri» von Olga Flor.
Nicola Steiner, Usama Al Shahmani, Daniela Strigl und – als Gast – der Schriftsteller Christoph Keller diskutieren über «Eurotrash» von Christian Kracht, «Sister Outsider» von Audre Lorde, «Das Jahresbankett der Totengräber» von Mathias Enard sowie «Morituri» von Olga Flor.
Star*ed review in Publishers Weekly for
The Essential June Jordan
June Jordan, edited by Jan Heller Levi and Christoph Keller. Copper Canyon Press
Wide in scope and singular in their articulation of atrocities, Jordan’s poems shine in this thoughtfully curated volume. Ordered so that each era of her work speaks to the next, her poems contemplate war (“What will we do/ when there is nobody left/ to kill?”) on a national, interpersonal, and intergenerational scale, and suggest that struggle may be inextricable from the human experience. Jordan (1936–2002) stands against established power in poems that reckon with colonialism and the police state through her distinctive use of cataloging, repetition, and linguistic play. She implicates the self in depictions of historical violence as a basis for the cultivation of empathy: “I am a stranger/ learning to worship the strangers/ around me.” As she contemplates land, borders, race, and gender, the reader, too, is invited to look closely at the world around them. In these rich, generous poems, to hold and accept divisive truths is an act of love and solidarity. “I am black alive,” she writes, “and looking back at you.”
The Essential June Jordan
June Jordan, edited by Jan Heller Levi and Christoph Keller. Copper Canyon Press
Wide in scope and singular in their articulation of atrocities, Jordan’s poems shine in this thoughtfully curated volume. Ordered so that each era of her work speaks to the next, her poems contemplate war (“What will we do/ when there is nobody left/ to kill?”) on a national, interpersonal, and intergenerational scale, and suggest that struggle may be inextricable from the human experience. Jordan (1936–2002) stands against established power in poems that reckon with colonialism and the police state through her distinctive use of cataloging, repetition, and linguistic play. She implicates the self in depictions of historical violence as a basis for the cultivation of empathy: “I am a stranger/ learning to worship the strangers/ around me.” As she contemplates land, borders, race, and gender, the reader, too, is invited to look closely at the world around them. In these rich, generous poems, to hold and accept divisive truths is an act of love and solidarity. “I am black alive,” she writes, “and looking back at you.”
Mit Licht schreiben
Christoph Keller, Karin Karinna Bühler 11.März – 1.April 2021 im AUTO Nextex Visarte Ost Wassergasse 47 9000 St. Gallen Im Auto ist ab dem 11. März die erste Ausstellung des neuen Jahres zu sehen. Für Freiluft- und Höhlen-Freund*innen, Passant*innen, öV-Nutzer*innen und andere Mitfahrer*innen zeigen wir eine Auswahl aus dem fotografischen Werk des Schriftstellers Christoph Keller und eine Installation der Künstlerin Karin Karinna Bühler, die beide „Mit Licht schreiben“. Nach der Umbau- und Lockdown-Pause verzichten wir vorerst auf Veranstaltungen und die regulären Öffnungszeiten: Ein Besuch der Ausstellung ist in den nächsten vier Wochen täglich auch bei geschlossenen Türen möglich, das Licht brennt jeweils von 14 Uhr bis in die Nacht. Alle, die mehr erfahren wollen, finden im Auto-Briefkasten und auf unserer Website demnächst ein Blatt mit weiteren Informationen. Gern weisen wir an dieser Stelle noch darauf hin, dass Christoph Keller im Juni für seinen Roman „Der Boden unter den Füssen“ 2020 den alemannischen Literaturpreis erhalten wird. Wir gratulieren herzlich und freuen uns, ihn und Karin Karinna Bühler im Auto zu Gast zu haben!ex Das Licht brennt täglich auch bei geschlossenen Türen jeweils ab 14 Uhr bis in die Nacht. nextex |
Alemannischer Literaturpreis 2020 geht an Christoph Keller
Christoph Keller wird mit dem Alemannischen Literaturpreis 2020 ausgezeichnet. Der Schweizer Schriftsteller erhält den Preis für seinen im Jahr 2019 im Limmat-Verlag erschie- nenen Roman „Der Boden unter den Füßen. Die vierköpfige Fachjury würdigt damit die „sprachlich und kompositorisch meisterhafte Annäherung an die drängenden Fragen unserer Zeit“, die dem Autor mit seinem Werk gelungen sei. Der Festakt zur offiziellen Preisverlei- hung findet am Sonntag, 22. November 2020, in Waldshut-Tiengen statt.
In „Der Boden unter den Füßen“ zweifelt der erfolgreiche Brückenbauer Lion am Sinn seines Tuns, als beim Einsturz seiner zuletzt fertiggestellten Konstruktion neun Menschen sterben. Er fordert ein Moratorium für neue Brückenbau-Projekte wie auch für die kapitalistische Wachstumslogik insgesamt, und zieht sich in seinen heimischen Garten zurück. In surrealistischen Szenen durchlebt Lion die Läuterung nach seinem persönlichen Weltuntergang traumwandlerisch als Metapher einer globalen Apokalypse im Sinne einer großen Entschleierung.
Eine selbsterwählte Quarantäne als Maßnahme, um die Folgen des eigenen Handelns kri- tisch zu reflektieren: „Indem der Autor seinen Ich-Erzähler zu dieser radikalen Form der Schuldverarbeitung greifen lässt, nimmt er in prophetischer Weise den durch die Corona- Pandemie angestoßenen Diskurs über nachhaltiges Wirtschaften vorweg“, urteilt die Jury. Doch sein Buch sei weit mehr als nur ein Appell zu ökonomischer Mäßigung: „Aus der Konfrontation mit wirklichen wie unwirklichen Personen, Phänomenen und Vorgängen entwickelt Keller eine so fantastische wie facettenreiche Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung.“
Christoph Keller (56) ist in St. Gallen geboren und aufgewachsen. Der Autor zahlreicher preisgekrönter Romane lebte zeitweise in den USA, wo er auf Englisch publizierte, bevor er in seine Heimatstadt St. Gallen zurückkehrte. Eine im Jahr 1978 festgestellte schwere Muskelerkrankung hat dazu geführt, dass er seit vielen Jahren auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen ist. Verheiratet ist er mit der US-amerikanischen Lyrikerin Jan Heller Levi. Auch in literarischer Hinsicht ist Christoph Keller ein Wanderer zwischen Europa und Amerika, sowie schonungsloser Berichterstatter von einem Leben mit körperlicher Behinderung. Als solcher fordert er sein Publikum immer wieder zum Perspektivwechsel heraus.
Der Alemannische Literaturpreis, der alle drei Jahre verliehen wird, ist mit 10.000 Euro dotiert und wird von der Großen Kreisstadt Waldshut-Tiengen, dem Medienhaus Südkurier und der Sparkasse Hochrhein gestiftet. Mit dem Preis wird die deutschsprachige Literatur – auch die des Dialekts – des alemannischen Sprachraums einschließlich Vorarlberg (Österreich), Deutschschweiz und Elsass (Frankreich) seit 1981 gefördert und ausgezeichnet. Der Preis wird alle drei Jahre vergeben. Zu den bisherigen Trägern gehören u.a. Markus Werner (1990), Hermann Kinder (1996) und Peter Weber (2008).
Südkurier
Börsenblatt
Tagesanzeiger
St. Galler Tagblatt
Buchreport
Waldshut-Tiengen: Alemannischer Literaturpreis 2020
Limmat Verlag
re-book kommunikation
Solange die Löwen nicht schreiben lernen
Christoph Keller hält die Poetikvorlesungen 2020 der Universität St. Gallen
17. September 2020
24. September 2020
1. Oktober 2020
jeweils Donnerstag, 18.15 bis 19.45 Uhr
im Raum für Literatur, Postgebäude am Bahnhof St.Gallen (Eingang Südseite, St.Leonhard-Strasse 40, 3. Stock, Lift vorhanden – barrierefrei)
17.9., 24.9. und 1.10.2020
Schriftsteller sein heisst, mit anderen Stimmen reden. Zuerst aber heisst es zu lernen, mit der eigenen Stimme zu sprechen. Sonst geschieht, wovor das afrikanische Sprichwort warnt: Solange die Löwen nicht schreiben lernen, solange wird jede Geschichte die Jäger verherrlichen. Christoph Keller nimmt seine drei Poetik-Vorlesungen zum Anlass, sein umfangreiches, vielstimmiges Werk, das u.a. Romane, Theaterstücke, Essays, Kurz- und Kürzestprosa, aber auch Fotografien umfasst, neu zu besichtigen.
Am ersten Abend Vom schelmischen Erzählen erforscht der St.Galler Autor seine Romane von «Gulp» (1988) über «Ich hätte das Land gern flach» (1996) bis «Der Boden unter den Füssen» (2019) und widmet sich thematisch, biografisch und anekdotisch deren verbindenden Elementen. Die zweite Vorlesung In anderen Stimmen bereist das weite Feld literarischer Möglichkeiten: dem Schreiben in der Fremdsprache, dem Übersetzen (anderer und eigener Texte) / dem vierhändigen Schreiben mit einem Schreibpartner (Heinrich Kuhn) / dem Herausgeben fremder Stimmen / dem Schreiben mit Licht, also der Fotografie. Am dritten Abend Wer spricht für mich, wenn ich es nicht tue? stellt sich Keller den Texten, die manche für seine provokantesten halten, jenen, die schonungslos über sein Leben mit einer fortschreitenden körperlichen Behinderung berichten: «Der beste Tänzer» (2003), das Theaterstück «Ballerina» (2004) und seinen jüngstes Buch, «Jeder Krüppel ein Superheld» (2020). Löwen und andere Minderheiten müssen brüllen lernen, wollen sie nicht, dass ihre Jäger ihre Geschichte schreiben.
Cream
In the waiting room of the Muscle-
Clinic at Columbia-Presbyterian,
thinking of the pictures of my ass
rash on my phone. Other people
have pictures of their kids and cute
pets. Who wants to see those? But
my doctor really wants to see the
pictures of my ass rash to prescribe
a cool cream.
In the waiting room of the Muscle-
Clinic at Columbia-Presbyterian,
thinking of the pictures of my ass
rash on my phone. Other people
have pictures of their kids and cute
pets. Who wants to see those? But
my doctor really wants to see the
pictures of my ass rash to prescribe
a cool cream.
St. Galler Tagblatt, 7. Mai 2020
Wünsche
Ich wünsche mir, sehr geehrte Laura Bucher, dass Sie nicht auch bald schon von der Neuen Normalität reden werden, was ja übersetzt heisst: Machen wir möglichst weiter wie bisher, sondern den Neuanfang wagen. Die Luft zum Beispiel war seit der Einführung des Automobils und anderen lauten Spielzeugen nicht mehr so gut wie jetzt. Und die Luft gehört ohne Zweifel zu den Aufgaben des Innenministeriums. Frau Bucher, schauen Sie bitte, dass sich die Luft weiter verbessert, nicht wieder rasend verschlechtert. Zur Luft gehört wie das Atmen die Kultur. Ihr stehen Sie jetzt auch vor (so wie ich in ihr drinsitze). Bei Ihren von der IG Kultur Ost gemessenen sagenhaften 97.5% sind Sie DIE Wunschbesetzung, fast so kulturfreundlich wie die SVP kulturfeindlich. Mein Wunsch hier: Warum nur Kulturfreundlichkeit? Wie wäre es mit etwas, das ich hier manchmal vermisse, nämlich Kulturbegeisterung? Überhaupt, Begeisterung. Zum Beispiel für das Andere. In Ihren Wahlschriften kommt der Kampf gegen die Diskriminierung vor. An dem liegt mir, lag mir schon immer, reisst doch Diskriminierung eine Gesellschaft auseinander, was die USA zur Zeit so schmerzhaft vorführt. Wie hoch ist die Diskriminierungsbegeisterung im Kanton St. Gallen? Niedrig, sehr niedrig, hoffe ich. Dass es so bleibt, daran müssen wir hart arbeiten. Das, dies ein weiterer Wunsch von mir, würde ich, liebe Laura Bucher, gern einmal bei einer Tasse Kaffee mit Ihnen besprechen.
Tagesanzeiger, 5. Mai 2020
Die Luft, die wir atmen
Der Schweizer Schriftsteller Christoph Keller sitzt im Rollstuhl. Menschen mit Behinderung würden in der Corona-Krise ignoriert, kritisiert er.
zum Text
Saiten, 26. April 2020
Was man nicht sehen kann
Beim Versuch, das Coronavirus zu fotografieren, ist es nur zu schattigen Selbstporträts mit und ohne Hut gekommen. Und zur Variation einer berühmten Wittgenstein-Erkenntnis: Was man nicht sehen kann, darüber könnte man auch wieder einmal schweigen.
zu den Schattenportraits
KinoK Lokremise Zeitung, 24. März 2020
Kinovirus
Und jetzt? Jetzt ist Virus und das Kino geschlossen. Kino ist eine Berührung anderer Art, die, sind die Bilder nur kräftig genug, auch auf kleinstem Bildschirm funktioniert. Auch wenn ich mir Filme lieber nicht auf dem Smartphone anschaue, die drei Strassenarbeiter, die ich einmal dabei beobachtet habe, wie sie sich in ihrer Pause verzaubert über eines dieser kleinen Geräte beugten, gehen mir nicht aus dem Kopf. Handkino. Dass sich die drei ein Sportspiel anschauten, tut meinem Argument keinen Abbruch. Auch ein Spiel ist Dramatik, Leidenschaft, Freude, Wut und Tränen, ist unerträgliche Spannung, atemberaubende Bilderschönheit, also eben Kino. Tabletkino, PC-Kino, Fernsehkino, das muss jetzt alles Kino sein.
Früher hatten wir zuhause noch Leinwandkino, dort fing für mich als Kind die Kinolust an. Laurel & Hardy, Buster Keaton, Chaplin. Knisternd und knackend ratterten sie im Dachstock, wo die Leinwand aufgezogen wurde, durch den Projektor. Manchmal verhedderte sich das Zelluloid in der kruden, so wunderbar analogen Mechanik und sorgte für Ärger. Mein Vater, Cheffilmvorführer in unserem privaten Cinema Paradiso, kam fluchend angestampft, um den Film wieder einzufädeln. Es flirrte und flimmerte, schon wieder fing es auf der Leinwand zu leben an, man piekste sich ins Auge, hing an einem Uhrzeiger hoch über der Stadt, lüpfte kokett die Melone. Und spies mein Hirnkino für immer und ewig.
Digitalkino: Dass dies alles jetzt nur durch die Eingabe von ein paar Wörtern wiedererstehen, ist ein kleines Wunder, eines aber, das mich umso ungeduldiger macht, je schneller es inszeniert werden kann. Ich weiss warum: Mir fehlt die Vorfreude. Der Gang zum Kino, vielleicht mit einem Umweg über ein Restaurant. Das Anstehen beim Ticketschalter, bei dem man ins Gespräch kommt, zufällig Freunde trifft, gar welche macht. Die heimelige Dunkelheit, in die wir getaucht werden, das Gefühl entrinnbarer Einsamkeit, wollen wir den Film ja ganz für uns sehen, dabei aber wissen, eben nicht allein zu sein. Der Weg nach Hause ist real, der Computerklick verräterisch, denn diese Welt ist ausschliesslich virtuell. Dennoch will ich doch gerade in diesen pandemischen Zeiten, zuhause in Quarantäne (das amerikanische shelter-in-place gefällt mir da besser), hoffen, dass sich mein Computer bloss jetzt keinen Virus einholt.
Den letzten Film, den ich auf der grossen Leinwand gesehen habe, war «Amarcord». Gerne hätte ich mich jetzt erneut überraschen lassen, was es denn mit dem Knie dieser Claire auf sich hat, dass ihm da ein ganzer Film gewidmet wid. Auch diesem deutschen Rocker, der im Titel mit Ausrufezeichen aufgefordert wird, sein Ding zu machen, wäre ich gern für zwei-Stunden-plus auf der Spur geblieben – ach, wäre ich doch noch gegangen, bevor die Kinotüren bis auf Weiteres schlossen!
Den besten Film, den ich bislang im verordneten Heimkino gesehen habe, ist der Schwarz/Weiss-Film «The Lighthouse». Langsam, wie es sich für einen guten Horrorstreifen gehört, kroch er mir unter die Haut, altmodisch wie ein Virus und ebenso effizient, aber glücklicherweise nicht potentiell tödlich, besetzte er meinen Körper. Jede Einstellung ein Foto, das ich mir an der Wand vorstellen könnte, die Dialoge von der Wucht einer Brandung, als habe Herman Melville doch noch ein Filmskript geschrieben. Subkutan das Wissen, dass ich mir diesen Film jetzt nicht im Kino anschauen kann. Draussen wütet der reale Horror, der reale Leben kostet. Vorstellbar jetzt, dass so etwas jenseits der Leinwand geschehen kann.
Magie will ich jetzt. Den Zauberstab, der diesem Spuk den Garaus macht. Und Magie ist rund, das gilt auch für Kinomagie. Der erste Grossmeister des Kinos, Charlie Chaplin, wusste das natürlich. Da sitzt er, als der traurig-lustige Tramp, am Ende von «The Circus» von 1928 im magischen Kreis, den die Manege des Zirkus, der ohne den Tramp weitergezogen ist, in der Erde hinterlassen hat. Mit diesem Bild hat Chaplin das Stonehenge des Kinos geschaffen. Rätselhaft und doch irgendwie sonnenklar, dieser Kreis, der den Tramp einschliesst, ausschliesst, beschützt und aussetzt.
Abstand halten. Hände waschen. Zuhause bleiben.
Wie unser geliebter Tramp werden auch wir hoffentlich durch das alles durchkommen, angeschlagen durch Erfahrung, aber hoffentlich intakt, ohne schmerzhafte Verluste hoffentlich. Auch wir werden den Kreis wieder verlassen und uns auf den Weg machen, zu unseren Liebsten, die wir jetzt nicht zuhause empfangen dürfen, zur Arbeit, die wir nicht nur zuhause machen wollen, zu jenen unserer Vergnügungen, die uns hoffentlich bald wieder aus dem Haus bringen. Ich zum Beispiel kann es kaum erwarten, meinen Kreis wieder verlassen und mich auf den sorglosen Weg machen zu können, um wieder dem Zauber der grossen Leinwand verfallen zu dürfen.
Das Kinovirus ist ein Virus, gegen das ich nicht immun sein will.
Südkurier, 16. März 2020
Wir sind das Virus
Christoph Keller, wegen der Coronakrise sollen wir jetzt alle zuhause bleiben. Wird man da nicht depressiv?
Ich vermutlich nicht. Als Schriftsteller und dann erst noch einer im Rollstuhl bin ich isolationsgeübt. Dass wir jetzt alle zuhause bleiben sollen, hat für mich etwas Befreiendes. Plötzlich fällt da ein enormer Druck weg. Ich glaube, vor allem Frauen werden das verstehen.
Warum ausgerechnet Frauen?
Stellen Sie sich vor, plötzlich müssen die Frauen nicht mehr einem Schönheitsideal entsprechen. Keine Dauerpropaganda mehr. Puff, weg, befreit! Ich muss jetzt nicht mehr dauernd lesen, was es da alles für tolle Sachen gibt, die ich nicht machen kann. Plötzlich sollen wir alle zuhause bleiben. Puff, Druck weg, befreit! Das könnte sich übrigens auch für alle anderen als befreiend erweisen: Plötzlich nicht mehr dauernd etwas zu müssen, weil es irgendeine Firma für «megacool» erklärt.
Als Rollstuhlfahrer haben Sie rund dreissig Jahre lange Erfahrung mit eingeschränkter Mobilität. Welchen Rat können Sie uns geben?
Halten Sie es mit der Bauhaus-Methode: Weniger ist mehr. Ich bin lebenslänglich dazu gezwungen, alles langsamer anzugehen. Meine Erkrankung ist progressiv, werde ich stetig langsamer. Es ist ein steter Prozess, aber das ist das Leben ja sowieso. Verwechseln Sie also nicht mit Weisheit, was mir passiert, vielmehr sind mir die idealen Voraussetzungen gegeben, Geduld und damit auch sehr viel Verzicht zu üben. Das hat aber eben, wie auch dieses erschreckende Virus (ich habe gerade gehört, dass eine Verwandte erkrankt ist, da sie aber jung und stark ist und der Fall mild, wird sie das überstehen), sein Gutes. Ja, genau, mal wieder ein Buch lesen, statt noch irgendwohin hetzen (und sich dann über den Stress beklagen). Dem Frühling beim Erblühen zuschauen. Es ist etwas Wunderbares, die Zeit durch sich strömen zu lassen, dieses Weniger wahrzunehmen, um so viel mehr daraus zu machen. Was auch hilft, ist sich wieder einmal sehr laut Frank Zappas Joe’s Garage anzuhören, und zwar alle drei Teile.
Nach Ansicht des Philosophen Blaise Pascal rührt alles Unglück der Menschen daher, dass sie nicht in der Lage seien, einfach mal zuhause zu bleiben. Stimmt das?
Hundertprozentig.
Mussten Sie angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Coronakrise an Ihre kürzlich erschienene Erzählung „Der Boden unter den Füßen“ denken?
Ja, schon. Ich bin ja anscheinend ein prophetischer Schriftsteller. Da stellt einer ein radikales Experiment mit sich selber an, indem er sich – nachdem ihm eine Brücke eingestürzt ist, wobei ein Dutzend Menschen umgekommen sind – aus dem Verkehr zieht und ein ganz anderes Leben führt. Diese Pandemie ist nun beides: eine eingestürzte „Riesenbrücke“ und ein radikales Experiment. Meine Hauptfigur schlägt ein Brückenbaumoratorium vor, wir haben jetzt gleich einen weltweiten Vollstopp. Das ist völlig faszinierend, auch wenn mir wesentlich lieber wäre, das alles fände lediglich in der Fiktion statt. Jetzt aber haben wir das Experiment. Hände waschen und durch! Und dann bitte einiges ändern. Utopien sind machbar.
Sie handelt von einem Mann, der nach einer Katastrophe seinen Lebensstil radikal ändert und einfach zuhause bleibt: Schluss mit den vielen Reisen, aufhören mit dem ständigen Arbeiten, raus aus dem ganzen Höher-Schneller-Weiter unseres kapitalistischen Systems! Was können wir von ihm lernen?
Den Verzicht. Und dass Verzicht, massvoll angewandt, das einzig Wahre ist. Man soll ja auch den Verzicht nicht übertreiben. Aber wenn wir überleben wollen, nicht nur diese Pandemie, dann müssen wir akzeptieren, dass wirdas Virus sind. Nicht, weil sich die Natur jetzt wehrt. Die Natur wehrt sich nicht, die ist einfach und macht einfach. Idealerweise wächst sie, wenn wir sie liessen. Aber wir haben uns scheinbar nun einmal darauf verschworen, sie abzugrasen, aufzufressen und, weil das nicht schnell genug geht, zuzubetonieren. Egoismus plus Dummheit mal Überbevölkerung – wie soll das denn gut gehen? Die Menschheit ist auch ein Experiment. Jenes, sich auf begrenztem Raum endlos auszudehnen.
Er war als Ingenieur für Brückenbau erfolgreich bis zu dem Tag, als eine seiner Konstruktionen einstürzte und zwölf Menschen starben. Das Brückenbauen und das Reisen genießen bei uns einen guten Ruf: Wer verbindet, heißt es, ermögliche Verständigung, und wer reist, bilde sich. Vergessen wir darüber, dass durch Verbindungen und Reisen auch so unschöne Dinge wie Viren zu uns gelangen?
Und Bakterien. Allerdings vergessen wir es nicht, wir wissen es ganz genau. Brücken sind doch gut, und Reisen ist es auch. Aber tatsächlich werden im Krieg zuerst die Brücken gesprengt, damit sie der Feind nicht benutzen kann. Deshalb muss jetzt als erstes das Reisen dran glauben. Es ist auch hier das Unvermögen, masszuhalten, der Unwille auf den Verzicht. Muss denn wirklich alles verbrückt werden? Mag nicht manches getrennt besser gedeihen? Dazu würde ich gerne die Indios hören, die Bolsonaro derzeit systematisch abmurkst. Oder die australischen oder nordamerikanischen Ureinwohner, soweit sie noch atmen.
Wo es Brücken gibt, wird auch gereist ...
Muss wirklich jeder Depp überallhin reisen, bloss weil er oder sie irgendwo ein Föteli gesehen hat? Ich höre selten einen Satz, bei dem ich sagen kann, Doch, diese Welthalbumrundung hat sich gelohnt. Reisen bildet eben leider nicht mehr. Und den Horizont erweitert es auch nicht mehr, es verpestet ihn jetzt. Im Grunde sollte nur Werner Herzog reisen dürfen. Der bringt die besten Reiseberichte mit nach Hause. Ich habe ihm einmal persönlich für seinen Film The Cave of Forgotten Dreams bedankt: Weil er für mich in die Chauvet-Höhle gegangen ist und diesen wunderbaren Film zurückgebracht hat. Dann muss ich nicht auch noch hin.
Zeigt sich in der aktuellen Krise auch ein Warnschuss der Natur? Ist es zynisch, sie deshalb auch als Chance zu verstehen? Seit Beginn der Corona-Pandemie sind in China die CO2-Emissionen um fünfundzwanzig Prozent gesunken!
Wer nicht hören will, muss fühlen. Kommt aber darauf an, als was für eine Chance. Wussten Sie, dass der gegenwärtige amerikanische Vizepräsident, der ehrwürdige Mike Pence, gottesfürchtiger Krieger in Sachen weisser Vorherrschaft, damals die Chance in New Orleans nach Katrina genutzt hat? Mr. Pence war der Vorsitzende des Republican Study Comitees, das sich darum gekümmert hat, dass die Armen, vor allem schwarze Amerikaner, die in den Fluten alles verloren hatten, auch noch vertrieben werden. Stattdessen stehen da jetzt Luxuswohnungen für wohlhabende Weisse. Die grossartige, unermüdliche Naomi Klein hat das in ihrem Essay „How Power Profits from Disaster“ aufgearbeitet. Lesen Sie alles von ihr, gerade jetzt, da wir Zeit haben. Ich gehe davon aus, dass Mr. Pence und sein unsäglicher Boss längst dabei sind, die Corona-Pandemie auszuschlachten. Das nennt sich Katastrophenkapitalismus. Es fällt mir schwer, mir etwas Zynischeres vorzustellen.
In Ihrem Buch stellen Sie einen Vergleich von Bautechniken an: Burgen, Dämme und Brücken gebe es auch in der Tierwelt, etwa bei Bibern. Aber nur der Mensch glaube, solche Konstruktionen müssten gleich für die Ewigkeit geschaffen sein. Ist unser Bewusstsein um die Endlichkeit des Lebens schuld am faustischen Höher-Schneller-Weiter?
Das ist ein faszinierender Gedanke. Lebensgier. Es darf um keinen Preis aufhören, selbst wenn es aufgehört hat. Hybristen (wäre das nicht ein schönes Wort?) wie Elon Musk wollen ihr Ego ja nun auch noch ins Universum schicken und auf dem Weg dorthin auch noch unseren schönen Himmel mit Satelliten zubetonieren. Das käme einem Biber nun wirklich nicht in den Sinn. Der baut ökologisch und weiss es nicht einmal. Perfekt! Wir wissen es, wissen wie es geht, tun es aber nicht. Das ist dann Geldgier.
Für ältere Menschen sowie für Personen mit Vorerkrankungen kann sie lebensbedrohlich sein. Sehen Sie sich besonders gefährdet und welche Maßnahmen haben Sie für sich getroffen?
Ich halte mich nicht für gefährdet, nehme das alles aber sehr ernst. Meine Atemwege sind intakt, aber die anderer sind es nicht. Darauf müssen wir alle Rücksicht nehmen, wir müssen uns allen schauen. Für die, die sich jetzt über die Vorsicht anderer lustig machen, habe ich kein Verständnis. Eine Bemerkung noch zum Schluss. Was mir schmerzhaft auffällt, mich aber nicht überrascht, ist, dass ich unter den unzähligen Artikeln über das Corona-Virus noch keinen gesehen habe, der sich damit beschäftigt, wie es jetzt den vielen Menschen mit Behinderung ergeht. Was ich jetzt lese, habe ich das meiste schon fünf Mal gelesen, nichts aber uns, jene notorisch Schwächsten, an deren Wohlergehen man scheinbar misst, wie gut eine Gesellschaft ist, wie jetzt so gern geschrieben wird. Das macht mir mehr Sorgen als das Virus. Es erinnert mich als Rollstuhlfahrer an das Schild, das neben jedem Fahrstuhl hängt: IM BRANDFALL TREPPE BENUTZEN.
Fragen: Johannes Bruggaier
Wir sind das Virus
Christoph Keller, wegen der Coronakrise sollen wir jetzt alle zuhause bleiben. Wird man da nicht depressiv?
Ich vermutlich nicht. Als Schriftsteller und dann erst noch einer im Rollstuhl bin ich isolationsgeübt. Dass wir jetzt alle zuhause bleiben sollen, hat für mich etwas Befreiendes. Plötzlich fällt da ein enormer Druck weg. Ich glaube, vor allem Frauen werden das verstehen.
Warum ausgerechnet Frauen?
Stellen Sie sich vor, plötzlich müssen die Frauen nicht mehr einem Schönheitsideal entsprechen. Keine Dauerpropaganda mehr. Puff, weg, befreit! Ich muss jetzt nicht mehr dauernd lesen, was es da alles für tolle Sachen gibt, die ich nicht machen kann. Plötzlich sollen wir alle zuhause bleiben. Puff, Druck weg, befreit! Das könnte sich übrigens auch für alle anderen als befreiend erweisen: Plötzlich nicht mehr dauernd etwas zu müssen, weil es irgendeine Firma für «megacool» erklärt.
Als Rollstuhlfahrer haben Sie rund dreissig Jahre lange Erfahrung mit eingeschränkter Mobilität. Welchen Rat können Sie uns geben?
Halten Sie es mit der Bauhaus-Methode: Weniger ist mehr. Ich bin lebenslänglich dazu gezwungen, alles langsamer anzugehen. Meine Erkrankung ist progressiv, werde ich stetig langsamer. Es ist ein steter Prozess, aber das ist das Leben ja sowieso. Verwechseln Sie also nicht mit Weisheit, was mir passiert, vielmehr sind mir die idealen Voraussetzungen gegeben, Geduld und damit auch sehr viel Verzicht zu üben. Das hat aber eben, wie auch dieses erschreckende Virus (ich habe gerade gehört, dass eine Verwandte erkrankt ist, da sie aber jung und stark ist und der Fall mild, wird sie das überstehen), sein Gutes. Ja, genau, mal wieder ein Buch lesen, statt noch irgendwohin hetzen (und sich dann über den Stress beklagen). Dem Frühling beim Erblühen zuschauen. Es ist etwas Wunderbares, die Zeit durch sich strömen zu lassen, dieses Weniger wahrzunehmen, um so viel mehr daraus zu machen. Was auch hilft, ist sich wieder einmal sehr laut Frank Zappas Joe’s Garage anzuhören, und zwar alle drei Teile.
Nach Ansicht des Philosophen Blaise Pascal rührt alles Unglück der Menschen daher, dass sie nicht in der Lage seien, einfach mal zuhause zu bleiben. Stimmt das?
Hundertprozentig.
Mussten Sie angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Coronakrise an Ihre kürzlich erschienene Erzählung „Der Boden unter den Füßen“ denken?
Ja, schon. Ich bin ja anscheinend ein prophetischer Schriftsteller. Da stellt einer ein radikales Experiment mit sich selber an, indem er sich – nachdem ihm eine Brücke eingestürzt ist, wobei ein Dutzend Menschen umgekommen sind – aus dem Verkehr zieht und ein ganz anderes Leben führt. Diese Pandemie ist nun beides: eine eingestürzte „Riesenbrücke“ und ein radikales Experiment. Meine Hauptfigur schlägt ein Brückenbaumoratorium vor, wir haben jetzt gleich einen weltweiten Vollstopp. Das ist völlig faszinierend, auch wenn mir wesentlich lieber wäre, das alles fände lediglich in der Fiktion statt. Jetzt aber haben wir das Experiment. Hände waschen und durch! Und dann bitte einiges ändern. Utopien sind machbar.
Sie handelt von einem Mann, der nach einer Katastrophe seinen Lebensstil radikal ändert und einfach zuhause bleibt: Schluss mit den vielen Reisen, aufhören mit dem ständigen Arbeiten, raus aus dem ganzen Höher-Schneller-Weiter unseres kapitalistischen Systems! Was können wir von ihm lernen?
Den Verzicht. Und dass Verzicht, massvoll angewandt, das einzig Wahre ist. Man soll ja auch den Verzicht nicht übertreiben. Aber wenn wir überleben wollen, nicht nur diese Pandemie, dann müssen wir akzeptieren, dass wirdas Virus sind. Nicht, weil sich die Natur jetzt wehrt. Die Natur wehrt sich nicht, die ist einfach und macht einfach. Idealerweise wächst sie, wenn wir sie liessen. Aber wir haben uns scheinbar nun einmal darauf verschworen, sie abzugrasen, aufzufressen und, weil das nicht schnell genug geht, zuzubetonieren. Egoismus plus Dummheit mal Überbevölkerung – wie soll das denn gut gehen? Die Menschheit ist auch ein Experiment. Jenes, sich auf begrenztem Raum endlos auszudehnen.
Er war als Ingenieur für Brückenbau erfolgreich bis zu dem Tag, als eine seiner Konstruktionen einstürzte und zwölf Menschen starben. Das Brückenbauen und das Reisen genießen bei uns einen guten Ruf: Wer verbindet, heißt es, ermögliche Verständigung, und wer reist, bilde sich. Vergessen wir darüber, dass durch Verbindungen und Reisen auch so unschöne Dinge wie Viren zu uns gelangen?
Und Bakterien. Allerdings vergessen wir es nicht, wir wissen es ganz genau. Brücken sind doch gut, und Reisen ist es auch. Aber tatsächlich werden im Krieg zuerst die Brücken gesprengt, damit sie der Feind nicht benutzen kann. Deshalb muss jetzt als erstes das Reisen dran glauben. Es ist auch hier das Unvermögen, masszuhalten, der Unwille auf den Verzicht. Muss denn wirklich alles verbrückt werden? Mag nicht manches getrennt besser gedeihen? Dazu würde ich gerne die Indios hören, die Bolsonaro derzeit systematisch abmurkst. Oder die australischen oder nordamerikanischen Ureinwohner, soweit sie noch atmen.
Wo es Brücken gibt, wird auch gereist ...
Muss wirklich jeder Depp überallhin reisen, bloss weil er oder sie irgendwo ein Föteli gesehen hat? Ich höre selten einen Satz, bei dem ich sagen kann, Doch, diese Welthalbumrundung hat sich gelohnt. Reisen bildet eben leider nicht mehr. Und den Horizont erweitert es auch nicht mehr, es verpestet ihn jetzt. Im Grunde sollte nur Werner Herzog reisen dürfen. Der bringt die besten Reiseberichte mit nach Hause. Ich habe ihm einmal persönlich für seinen Film The Cave of Forgotten Dreams bedankt: Weil er für mich in die Chauvet-Höhle gegangen ist und diesen wunderbaren Film zurückgebracht hat. Dann muss ich nicht auch noch hin.
Zeigt sich in der aktuellen Krise auch ein Warnschuss der Natur? Ist es zynisch, sie deshalb auch als Chance zu verstehen? Seit Beginn der Corona-Pandemie sind in China die CO2-Emissionen um fünfundzwanzig Prozent gesunken!
Wer nicht hören will, muss fühlen. Kommt aber darauf an, als was für eine Chance. Wussten Sie, dass der gegenwärtige amerikanische Vizepräsident, der ehrwürdige Mike Pence, gottesfürchtiger Krieger in Sachen weisser Vorherrschaft, damals die Chance in New Orleans nach Katrina genutzt hat? Mr. Pence war der Vorsitzende des Republican Study Comitees, das sich darum gekümmert hat, dass die Armen, vor allem schwarze Amerikaner, die in den Fluten alles verloren hatten, auch noch vertrieben werden. Stattdessen stehen da jetzt Luxuswohnungen für wohlhabende Weisse. Die grossartige, unermüdliche Naomi Klein hat das in ihrem Essay „How Power Profits from Disaster“ aufgearbeitet. Lesen Sie alles von ihr, gerade jetzt, da wir Zeit haben. Ich gehe davon aus, dass Mr. Pence und sein unsäglicher Boss längst dabei sind, die Corona-Pandemie auszuschlachten. Das nennt sich Katastrophenkapitalismus. Es fällt mir schwer, mir etwas Zynischeres vorzustellen.
In Ihrem Buch stellen Sie einen Vergleich von Bautechniken an: Burgen, Dämme und Brücken gebe es auch in der Tierwelt, etwa bei Bibern. Aber nur der Mensch glaube, solche Konstruktionen müssten gleich für die Ewigkeit geschaffen sein. Ist unser Bewusstsein um die Endlichkeit des Lebens schuld am faustischen Höher-Schneller-Weiter?
Das ist ein faszinierender Gedanke. Lebensgier. Es darf um keinen Preis aufhören, selbst wenn es aufgehört hat. Hybristen (wäre das nicht ein schönes Wort?) wie Elon Musk wollen ihr Ego ja nun auch noch ins Universum schicken und auf dem Weg dorthin auch noch unseren schönen Himmel mit Satelliten zubetonieren. Das käme einem Biber nun wirklich nicht in den Sinn. Der baut ökologisch und weiss es nicht einmal. Perfekt! Wir wissen es, wissen wie es geht, tun es aber nicht. Das ist dann Geldgier.
Für ältere Menschen sowie für Personen mit Vorerkrankungen kann sie lebensbedrohlich sein. Sehen Sie sich besonders gefährdet und welche Maßnahmen haben Sie für sich getroffen?
Ich halte mich nicht für gefährdet, nehme das alles aber sehr ernst. Meine Atemwege sind intakt, aber die anderer sind es nicht. Darauf müssen wir alle Rücksicht nehmen, wir müssen uns allen schauen. Für die, die sich jetzt über die Vorsicht anderer lustig machen, habe ich kein Verständnis. Eine Bemerkung noch zum Schluss. Was mir schmerzhaft auffällt, mich aber nicht überrascht, ist, dass ich unter den unzähligen Artikeln über das Corona-Virus noch keinen gesehen habe, der sich damit beschäftigt, wie es jetzt den vielen Menschen mit Behinderung ergeht. Was ich jetzt lese, habe ich das meiste schon fünf Mal gelesen, nichts aber uns, jene notorisch Schwächsten, an deren Wohlergehen man scheinbar misst, wie gut eine Gesellschaft ist, wie jetzt so gern geschrieben wird. Das macht mir mehr Sorgen als das Virus. Es erinnert mich als Rollstuhlfahrer an das Schild, das neben jedem Fahrstuhl hängt: IM BRANDFALL TREPPE BENUTZEN.
Fragen: Johannes Bruggaier