"Das gibt es doch nicht!" ruft Luca begeistert.
"Das gibt es nur deshalb nicht, weil du keine Fantasie hast", neckt ihn Slinkie.
"Was das, Slinkie?" will Luca wissen, denn er weiss, dass Slinkie nicht weiss, was das ist.
"Woher soll ich das wissen?" gibt Slinkie kichernd zu.
"Dass wir genau vor dieser Tür gelandet sind!"
"Und was ist dahinter, Luca?"
"Kannst du dir das nicht vorstellen?"
"Naja, vielleicht ein Raum ..."
"Das!" ruft Luca und öffnet die Tür.
Slinkie reibt sich die Augen, denn was er sieht, ist – naja, nicht weiter als ein Raum, in dem es jede Menge Gerümpel hat. UND EIN KLEINES FENSTERCHEN, DURCH DAS MAN DIE BERGE SIEHT.
"Jetzt bin ich aber gespannt!"
"Das, mein Lieber, ist ein Cockpit!" ruft Luca, der etwas anderes als Slinkie zu sehen scheint. "Und zwar ist das nicht irgendein ein Cockpit, zum Beispiel das Cockpit eines Flugzeugs oder eines Helikopters, die es auch nur deshalb, weil sie sich erst einmal je¬mand vor-gestellt hat, sondern das Cockpit des Dach¬stock¬raum-schiffs. Denn unser Dachstock ist nicht irgendein Dach-stock, sondern ein fliegender Dachstock!"
"Aha", sagt Slinkie ungläubig.
Vielleicht kommt es ja nur darauf an, wie man sich die Kammer voller Gerümpel anschaut. Oder: wer sie sich anschaut.
Fantasielose Menschen sehen:
1. einen abgeschabten Schemel;
2. ein verrostetes Salatsieb;
3. ein in der Mitte zerbrochener Spazierstock;
4. die frühere Hausklingel;
5. ein Kalender aus dem vergangenen Jahr, der nichts als Wolken zeigt – für jeden Monat andere.
Fantasievolle Menschen aber sehen etwas ganz anderes, nämlich:
1. einen hochmodernen Pilotensessel;
2. einen hochmodernen Schutzhelm;
3. einen hochmodernen Schaltknüppel;
4. einen hochmodernen Startknopf; und
5. einen hochmodernen Bildschirm, auf dem man sehen kann, wo man hin fliegt.
Braucht ein Dachstockraumschiff mehr, um losfliegen zu kön¬nen? Das kann man nur herausfinden, indem man es aus¬probiert:
1. setzt sich Luc in den hochmodernen Pilotensessel (Slin¬kie sitzt schon sich auf Lucas rechter Schulter);
2. setzt sich Luca den hochmodernen Schutzhelm auf (Slin¬¬kie braucht keinen Helm, weil er ohnehin schon aus Metall ist);
3. nimmt Luca den hochmodernen Schalthebel zwi¬schen die Beine (Slinkie hat nichts zu tun, holt aber tief Atem, damit keiner merkt, dass er eigentlich nichts zu tun hat);
4. fragt Slinkie, ob er den Startknopf drücken darf. Luca nickt und hebt Slinkie so nah an den hochmodernen Start¬knopf, dass er ihn drücken kann.
Und was geschieht?
Nichts.
Der hochmoderne Startknopf, der für fantasielose Men¬schen nichts als eine kaputte Klingel ist, klingelt nicht einmal.
(Früher, als er noch nicht kaputt war, hat er wenigstens noch geklingelt, egal ob fantasievolle oder fantasielose Menschen ihn gedrückt haben.)
"Siehst du?" sagt Slinkie.
"Warts ab", antwortet Luca.
Denn 5. wählt Luca auf dem hochmodernen Bildschirm ein anderes Bild aus: statt FEBRUAR mit Schneewolken, ist es jetzt JULI mit einem fast unbewölkten Sommerhimmel.
"Drück noch einmal, Slinkie."
Slinkie kichert und drückt den hochmodernen Startknopf noch einmal.
Zwar klingelt er noch immer nicht, doch jetzt beginnt es zu rattern. Erst ganz leise, dann schon etwas lauter. Dann noch lauter. Dann spüren Luca und Slinkie wie der Boden unter ihnen zittert und wackelt und wie das ganze Haus unter ihnen bebt. Dann kracht es ohrenbetäubend.
Und dann ist es wieder still.
"Wann geht es denn endlich los?" fragt Slinkie unge-duldig.
"Schau doch einmal hinunter", sagt Luca.
"Was gibt es da schon zu sehen? Da liegen zwei Men¬-schen in einem Bett und schlafen."
"Das sind meine Eltern", sagt Luca.
"Na und? Und da liegt ein Mädchen in einem anderen Bett und schläft auch."
"Das ist Rica, meine Schwester."
"Na und? Und da liegt ein Hund vor der Treppe im obe¬ren Stockwerk."
"Das ist Rott, unser Hund. Der eigentlich gar nicht in das obere Stockwerk darf."
"Naja, dann hättest du ihn eben besser erziehen müssen."
Luca schaut Slinkie verwundert an.
"Begreifst du denn wirklich nicht, Slinkie?"
Slinkie kichert. "Was gibt es da zu begreifen?"
"Weshalb kannst du in das Haus hinein sehen?"
Slinkie überlegt. "Weil es kein Dach hat?"
"Und wo sind wir?"
"Im Dach ..."
"Und wo ist das Dach jetzt?"
"Naja, weg ... Heisst das ... Willst du damit sagen, dass ... Weisst du was, Luca?"
"Was?"
"Wir fliegen!"
Manchmal ist Slinkie etwas schwer von Begriff.
"Wir flie-hi-hi-hiegen!!"
Das liegt daran, dass auch sein Hirn nichts als ein Stück Metall ist, und mit nichts als einem Stück Metall kann man nun einmal nicht gut denken.
"Jippie, wi-hier-flie-hi-hi-hiegen!!!"
Dafür gerät er jedesmal, wenn er etwas begriffen hat, was allen anderen schon lange klar war, ganz aus dem Häuschen."
"Pass doch auf, wo du hinfliegst!" ruft Slinkie plötzlich.
Gerade noch rechtzeitig kann Luca das Steuer hoch¬reis¬-sen. Um ein Haar wären sie in die Berge geflogen! Nicht vorzustellen, was geschehen wäre! Selbst bei Fan¬ta¬sie¬reisen muss man sich vor Unfällen hüten, denn es kann durchaus sein, dass die Berge echt sind!
"Das war knapp!" ruft Slinkie.
"Angsthase", sagt Luca und gibt Gas, indem er seinen rech¬¬ten Fuss ganz fest in den Dachstockboden drückt und den hochmodernen Schaltknüppel hochzieht. Sofort schiesst das Dach¬stock¬raumschiff steil in den Himmel. Ihre Stadt unter ihnen wird immer kleiner. Bald schon ist sie so klein, dass sie nicht mehr wie eine Stadt, sondern nur noch wie ein winziger Punkt auf der Landkarte aussieht. Und dann sehen sie überhaupt nichts mehr.
"Was ist jetzt?" will Slinkie wissen.
"Jetzt fliegen wir durch die Wolken", antwortet Luca.
"Woran siehst du das?"
"Daran, dass man ausser Wolken nichts mehr sieht."
"Also siehst du doch etwas?"
"Was?"
"Wolken!"
Da sich Luca nicht auf eine Diskussion mit Slinkie einlas¬sen will, ob man nichts oder lediglich nichts ausser Wol¬ken sieht, schliesst er die Augen. Das hat zwei Vorteile: Erstens kann er so das Dachstockraumschiff auf Autopilot fliegen, und zweitens verstummt auf diese Weise Slinkie, der, wie wir ja wissen, nur dann reden kann, wenn Luca die Augen geöffnet hat.
So fliegen die beiden Freunde recht lange durch die Wol¬ken. Wie lange, das wissen wir nicht, weil es recht schwer ist zu sagen, wie lange recht lange ist; eine Stunde oder nur eine Minute?
Kaum ist recht lange vorbei, öffnet Luca die Augen, und kaum hat Luca die Augen geöffnet, ruft Slinkie auch schon: "Wir sind da!"
aus Der fliegende Dachstock (2006, unveröffentlicht)
"Das gibt es nur deshalb nicht, weil du keine Fantasie hast", neckt ihn Slinkie.
"Was das, Slinkie?" will Luca wissen, denn er weiss, dass Slinkie nicht weiss, was das ist.
"Woher soll ich das wissen?" gibt Slinkie kichernd zu.
"Dass wir genau vor dieser Tür gelandet sind!"
"Und was ist dahinter, Luca?"
"Kannst du dir das nicht vorstellen?"
"Naja, vielleicht ein Raum ..."
"Das!" ruft Luca und öffnet die Tür.
Slinkie reibt sich die Augen, denn was er sieht, ist – naja, nicht weiter als ein Raum, in dem es jede Menge Gerümpel hat. UND EIN KLEINES FENSTERCHEN, DURCH DAS MAN DIE BERGE SIEHT.
"Jetzt bin ich aber gespannt!"
"Das, mein Lieber, ist ein Cockpit!" ruft Luca, der etwas anderes als Slinkie zu sehen scheint. "Und zwar ist das nicht irgendein ein Cockpit, zum Beispiel das Cockpit eines Flugzeugs oder eines Helikopters, die es auch nur deshalb, weil sie sich erst einmal je¬mand vor-gestellt hat, sondern das Cockpit des Dach¬stock¬raum-schiffs. Denn unser Dachstock ist nicht irgendein Dach-stock, sondern ein fliegender Dachstock!"
"Aha", sagt Slinkie ungläubig.
Vielleicht kommt es ja nur darauf an, wie man sich die Kammer voller Gerümpel anschaut. Oder: wer sie sich anschaut.
Fantasielose Menschen sehen:
1. einen abgeschabten Schemel;
2. ein verrostetes Salatsieb;
3. ein in der Mitte zerbrochener Spazierstock;
4. die frühere Hausklingel;
5. ein Kalender aus dem vergangenen Jahr, der nichts als Wolken zeigt – für jeden Monat andere.
Fantasievolle Menschen aber sehen etwas ganz anderes, nämlich:
1. einen hochmodernen Pilotensessel;
2. einen hochmodernen Schutzhelm;
3. einen hochmodernen Schaltknüppel;
4. einen hochmodernen Startknopf; und
5. einen hochmodernen Bildschirm, auf dem man sehen kann, wo man hin fliegt.
Braucht ein Dachstockraumschiff mehr, um losfliegen zu kön¬nen? Das kann man nur herausfinden, indem man es aus¬probiert:
1. setzt sich Luc in den hochmodernen Pilotensessel (Slin¬kie sitzt schon sich auf Lucas rechter Schulter);
2. setzt sich Luca den hochmodernen Schutzhelm auf (Slin¬¬kie braucht keinen Helm, weil er ohnehin schon aus Metall ist);
3. nimmt Luca den hochmodernen Schalthebel zwi¬schen die Beine (Slinkie hat nichts zu tun, holt aber tief Atem, damit keiner merkt, dass er eigentlich nichts zu tun hat);
4. fragt Slinkie, ob er den Startknopf drücken darf. Luca nickt und hebt Slinkie so nah an den hochmodernen Start¬knopf, dass er ihn drücken kann.
Und was geschieht?
Nichts.
Der hochmoderne Startknopf, der für fantasielose Men¬schen nichts als eine kaputte Klingel ist, klingelt nicht einmal.
(Früher, als er noch nicht kaputt war, hat er wenigstens noch geklingelt, egal ob fantasievolle oder fantasielose Menschen ihn gedrückt haben.)
"Siehst du?" sagt Slinkie.
"Warts ab", antwortet Luca.
Denn 5. wählt Luca auf dem hochmodernen Bildschirm ein anderes Bild aus: statt FEBRUAR mit Schneewolken, ist es jetzt JULI mit einem fast unbewölkten Sommerhimmel.
"Drück noch einmal, Slinkie."
Slinkie kichert und drückt den hochmodernen Startknopf noch einmal.
Zwar klingelt er noch immer nicht, doch jetzt beginnt es zu rattern. Erst ganz leise, dann schon etwas lauter. Dann noch lauter. Dann spüren Luca und Slinkie wie der Boden unter ihnen zittert und wackelt und wie das ganze Haus unter ihnen bebt. Dann kracht es ohrenbetäubend.
Und dann ist es wieder still.
"Wann geht es denn endlich los?" fragt Slinkie unge-duldig.
"Schau doch einmal hinunter", sagt Luca.
"Was gibt es da schon zu sehen? Da liegen zwei Men¬-schen in einem Bett und schlafen."
"Das sind meine Eltern", sagt Luca.
"Na und? Und da liegt ein Mädchen in einem anderen Bett und schläft auch."
"Das ist Rica, meine Schwester."
"Na und? Und da liegt ein Hund vor der Treppe im obe¬ren Stockwerk."
"Das ist Rott, unser Hund. Der eigentlich gar nicht in das obere Stockwerk darf."
"Naja, dann hättest du ihn eben besser erziehen müssen."
Luca schaut Slinkie verwundert an.
"Begreifst du denn wirklich nicht, Slinkie?"
Slinkie kichert. "Was gibt es da zu begreifen?"
"Weshalb kannst du in das Haus hinein sehen?"
Slinkie überlegt. "Weil es kein Dach hat?"
"Und wo sind wir?"
"Im Dach ..."
"Und wo ist das Dach jetzt?"
"Naja, weg ... Heisst das ... Willst du damit sagen, dass ... Weisst du was, Luca?"
"Was?"
"Wir fliegen!"
Manchmal ist Slinkie etwas schwer von Begriff.
"Wir flie-hi-hi-hiegen!!"
Das liegt daran, dass auch sein Hirn nichts als ein Stück Metall ist, und mit nichts als einem Stück Metall kann man nun einmal nicht gut denken.
"Jippie, wi-hier-flie-hi-hi-hiegen!!!"
Dafür gerät er jedesmal, wenn er etwas begriffen hat, was allen anderen schon lange klar war, ganz aus dem Häuschen."
"Pass doch auf, wo du hinfliegst!" ruft Slinkie plötzlich.
Gerade noch rechtzeitig kann Luca das Steuer hoch¬reis¬-sen. Um ein Haar wären sie in die Berge geflogen! Nicht vorzustellen, was geschehen wäre! Selbst bei Fan¬ta¬sie¬reisen muss man sich vor Unfällen hüten, denn es kann durchaus sein, dass die Berge echt sind!
"Das war knapp!" ruft Slinkie.
"Angsthase", sagt Luca und gibt Gas, indem er seinen rech¬¬ten Fuss ganz fest in den Dachstockboden drückt und den hochmodernen Schaltknüppel hochzieht. Sofort schiesst das Dach¬stock¬raumschiff steil in den Himmel. Ihre Stadt unter ihnen wird immer kleiner. Bald schon ist sie so klein, dass sie nicht mehr wie eine Stadt, sondern nur noch wie ein winziger Punkt auf der Landkarte aussieht. Und dann sehen sie überhaupt nichts mehr.
"Was ist jetzt?" will Slinkie wissen.
"Jetzt fliegen wir durch die Wolken", antwortet Luca.
"Woran siehst du das?"
"Daran, dass man ausser Wolken nichts mehr sieht."
"Also siehst du doch etwas?"
"Was?"
"Wolken!"
Da sich Luca nicht auf eine Diskussion mit Slinkie einlas¬sen will, ob man nichts oder lediglich nichts ausser Wol¬ken sieht, schliesst er die Augen. Das hat zwei Vorteile: Erstens kann er so das Dachstockraumschiff auf Autopilot fliegen, und zweitens verstummt auf diese Weise Slinkie, der, wie wir ja wissen, nur dann reden kann, wenn Luca die Augen geöffnet hat.
So fliegen die beiden Freunde recht lange durch die Wol¬ken. Wie lange, das wissen wir nicht, weil es recht schwer ist zu sagen, wie lange recht lange ist; eine Stunde oder nur eine Minute?
Kaum ist recht lange vorbei, öffnet Luca die Augen, und kaum hat Luca die Augen geöffnet, ruft Slinkie auch schon: "Wir sind da!"
aus Der fliegende Dachstock (2006, unveröffentlicht)